Chronik des FBZ Raduga / ZGS-14

Versuche einer Zeitdokumentation

1. Die Entwicklung der Kasernen- und Bunkeranlage Fürstenwalde

2. Zur Geschichte des obersten Gefechtsstandes der NVA-Luftverteidigung

3. Die Bundeswehr in der Kasernenanlage Fürstenwalde


1. Die Entwicklung der Kasernen- und Bunkeranlage Fürstenwalde

ln den Jahren 1942 bis 1945 wurde mit dem Bau des Schutzbauwerkes – Fuchsbau – mit Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen, Außenstelle Ketschendorf, unter Aufsicht der SS begonnen. Das Bauwerk wurde jedoch nicht fertig gestellt. 1945 wurde es teilweise zerstört bzw. geplündert. Die Anlage stand längere Zeit offen.


Ab 1960 wurde vom ehemaligen DDR Kommando Luftschutz die Anlage wiederhergestellt und erweitert. Die Baumaßnamen wurden vorn Ministerium für Post- und Fernmeldewesen - Sonderbaustab 22 - geführt und der Schutzbau erhielt die Bezeichnung Schaltzentrale der Deutschen Post. Die Bauarbeiten wurden von wenigen Spezialisten des Bau- und Nachrichtenwesens geleitet und von rund 140 Strafgefangenen durchgeführt. Die Bewachung erfolgte durch die Volkspolizei.

1962 wurde das Bauvorhaben vom Kommando der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung ( LSK / LV ) der Nationalen Volksarmee übernommen und bis 1964 fertig gestellt. Im März/ April 1964 nahm das Verstärkeramt der DP, später Übertragungsstelle II, den Dienst auf.

Bis 1965 wurde der nachrichtentechnische Ausbau abgeschlossen. Am 16.07.1965 erfolgte die Übernahme durch das Kommando der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der NVA von der Deutschen Post.

In den Jahren 1970 bis 1972 wurden mehrfach Umbauten entsprechend den Änderungen der Arbeits- und Organisationsprinzipien des Kommando LSK / LV der NVA durchgeführt. Weitere Um- und Ausbauten von Anlagen der Führungstechnik erfolgten bis Anfang 1977.

Am 05.05. 1971, 13.00 Uhr, erfolgte von der Warn- und Alarmzentrale aus die erste zentrale Auslösung aller ca. 11.000 Sirenen der DDR.

Ab September 1973 wurde mit dem Bau des Truppenlagers begonnen und der erste Bauabschnitt im Oktober 1974 übernommen. Die Fertigstellung in seiner jetzigen Form erfolgte 1989.

2. Zur Geschichte des obersten Gefechtsstandes der NVA-Luftverteidigung

Ein trüber Morgen im Spätherbst 1978.

Der Schein einiger Lampen vermischt sich mit der Dämmerung des aufziehenden Tages. Soldaten in Uniform der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der NVA stehen in Gruppen. Gedämpfte Stimmen, ab und zu ein Lachen.


Die meisten Soldaten haben sich am Raucherplatz versammelt, darunter auch einige weibliche Armeeangehörige. Etwas abseits steht ein hochgewachsener Oberst und blickt abwechselnd auf seine Uhr und dann wieder den Hügel hinab. Jetzt strafft er sich, geht gemessenen Schrittes zu einer markierten Stelle des betonierten Platzes und kommandiert mit halblauter, aber für alle unüberhörbarer Stimme: "Besatzung – Achtung l".

Das Stimmengewirr verstummt, die Soldaten stehen in Grundhallung mit Blickrichtung zum Oberst. "In Linie zu drei Gliedern antreten - Marsch!", gibt dieser sein nächstes Kommando. In die Soldaten kommt Bewegung, sie stellen sich unter leisem Gemurmel und kleinen Schubsern an einer weißen Linie nach Dienstgradgruppen geordnet auf.

Ganz links die Offiziere und Fähnriche, dann, nach einem Zwischenraum, die Unteroffiziere und, mit erneutem Abstand, die Soldaten. "Richt Euch!" Die Köpfe nach rechts gewandt, prüft jeder noch einmal die Seitenrichtung. Autotüren klappen und dann näher kommende Schritte. Die Kommandos "Augen gerade aus!" und dann sofort "Die Augen links" geben den Blick auf einen Generalmajor frei.

Der Oberst geht ihm drei Schritte entgegen und meldet: "Genosse Generalmajor – die diensthabende Besatzung des FBZ Raduga - Forschungs-und Beobachtungszentrum – ist vollzählig zur Vergatterung angetreten." Der Generalmajor dankt und wendet sich dann den Angetretenen zu: "Guten Tag, Genossen!" Aus etwa siebzig Kehlen die Antwort: "Guten Tag, Genosse Generalmajor!" Nach dem Rühren sagt der Generalmajor einige Worte über die Bedeutung des heutigen Tages.

Dann das Kommando "Stillgestanden !" und die Angetretenen hören den Vergatterungsspruch, der sie viele Jahre ihres Dienstes tagtäglich begleiten sollte; "Zur Durchführung der Gefechtsarbeit im Diensthabenden System verpflichte ich Sie alle Gefechtsaufgaben zum Schutze des Luftraumes der Deutschen Demokratischen Republik und der sozialistischen Staatengemeinschaft mit hoher Disziplin und Initiative zu erfüllen!" Über Lautsprecher wird die Nationalhymne gespielt, dann das Kommando "Wegtreten" und nach kurzer Kehrtwendung und auflebendem Stimmengemurmel streben die Soldaten dem Eingang des Schutzbauwerkes zu.

So etwa nahm am 01. November 1978 die erste Besatzung ihren Dienstbetrieb im neu geschaffenen Zentralen Gefechtsstand 14 - ZGS 14 - der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der NVA am Rande von Fürstenwalde auf. Die Mehrheit der Soldaten war damals durchaus stolz darauf, in der mit moderner Technik ausgestatteten obersten Führungsstelle der LSK / LV arbeiten zu können. Sie waren überzeugt, im Sinne des Vergatterungsspruchs den Luftraum zu schützen und nötigenfalls bereit, einen überraschenden Luftangriff der NATO gemeinsam mit den Verbündeten abzuwehren.

In den Vorbereitungen zum Dienst und der militärischen und gesellschaftswissenschaftlichen Weiterbildung wurden immer wieder die Möglichkeiten des "Gegners" durchgespielt, seine hohe Kampfbereitschaft und seine Fähigkeiten zum schnellen Angriff hervorgehoben. Die logische Schlußfolgerung dieser Einschätzung konnte daher nur lauten – je höher die Gefechtsbereitschaft der NVA, desto sicherer der Frieden. Daß dieser Logik die Voraussetzung, nämlich der Wille zum Angriff durch die Nato, fehlte, war der politischen und militärischen Führung der DDR durchaus bekannt.

Um das "Pulver trocken zu halten", wie ein Schlagwort damals lautete, wurden aber immer neue "Beweise" für die Aggressivität der NATO verbreitet. Der Forderung nach ständig höherer Gefechtsbereitschaft wurde alles untergeordnet, den Soldaten zusätzliche Dienste ohne jeglichen Ausgleich abverlangt, Ausgang und Urlaub gestrichen und ein straffes System von Absicherung durch sogenannte "Bereitschaftskräfte" geschaffen. Wer Bereitschaft hatte, durfte die Kaserne bzw. die Wohnung nicht verlassen und mußte im Alarmfall innerhalb von 60 Minuten gefechtsbereit sein.

Zwar gab es auch in der NVA die Losung von der "Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen“ jedoch scheiterten alle ernsthaften Ansätze an der Maxime „Gefechstbereitschaft“. Damit ließ sich fast alles begründen und es gehört zu den bitteren Erkenntnissen vieler Soldaten der ehemaligen NVA, daß ihre Bereitschaft zu persönlichen Opfern von den verantwortlichen Vorgesetzten mißbraucht wurde.

Mit dem ZGS 14 war seit 1945 wieder eine größere deutsche militärische Einheit in der Stadt Fürstenwalde präsent. Zwar existierte schon erstmals seit 1960 eine Abteilung des Flugabwehrrakentenregiments 16, ausgerüstet mit Boden-Luft-Raketen, im Kiesweg, ca. l0 km westlich von Fürstenwalde, jedoch ohne großen Einfluß auf das Leben der Stadt. Die ca. 400 Soldaten des ZGS-14 und eines Nachrichten-Betriebsbataillons als Versorgungseinheit waren im Straßenbild von Fürstenwalde unübersehbar.

Dabei sollte es urspünglich gar nicht sein, daß die Soldaten in ihren "verräterischen" Uniformen auffielen. Mit dem Ziel, die wahre Funktion des Gefechtsstandes zu verschleiern, wurden Legenden erdacht und verbreitet und alle Soldaten und Zivilbeschäftigten zur Geheimhaltung verpflichtet. Die offizielle, in allen nicht geheimen Dokumenten und im allgemeinen Sprachgebrauch verwendete Bezeichnung der Dienststelle lautete "Forschungs und Beobachtungszentrum Raduga", abgekürzt 'FBZ Raduga". Raduga stammt aus dem Russischen und heißt Regenbogen und im Zusammenhang mit Forschungs- und Beobachtungszentrum sollte der Eindruck der Weltraumforschung erweckt werden.

Vor der Aufnahme des Dienstbetriebes gab es ernsthafte Pläne, daß alle Soldaten das Kasernengelände nur in ziviler Kleidung verlassen durften oder, die zweite Variante, nur in Uniform der Deutschen Post. Dazu kam es aber letztlich nicht, vermutlich war es einigen höheren Chefs zu unmilitärisch.

Ein großes Ärgernis für die militärische Führung war auch die in der Bevölkerung gebräuchliche Bezeichnung "Fuchsbau". Den Soldaten war die Benutzung des Wortes "Fuchsbau" sogar verboten, es half jedoch nichts.

Viele Fürstenwalder kannten die alten Bunkeranlagen. hatten als Kinder sogar darin gespielt. 1942 hatte die Wehrmacht mit dem Bau eines Nachrichtenführungsbunkers begonnen, der jedoch nicht mehr in Betrieb gegangen ist. Aus dieser Zeit stammt schon die Bezeichnung "Fuchsbau".

Bis 1960 interessierte sich niemand für die Stollen im Hügel am Rande von Fürstenwalde. Danach nahm der Luftschutz Berlin diese Bunkeranlage in Besitz und führte auch einige Erweiterungsarbeiten durch. 1963 erfolgte die Übernahme durch die NVA, die daraus den Wechselgefechtsstand für den in Strausberg befindlichen ZGS-l4 machte. Von 1976 bis 1978 ließ die NVA neben den alten Stollen einen vollkommen neuen, nach modernsten Gesichtspunkten ausgerichteten Bunker, genannt Schutzbauwerk, bauen. Der alte "Fuchsbau" wurde ebenfalls ausgebaut, mit dem Neubau durch einen Übergang verbunden und im weiteren im Komplex genutzt.

Die gesamte Anlage hat ein Volumen von 13211 Kubikmeter und eine Fläche von 7681 Quadratmeter. Wahrend der alte "Fuchsbau" als Stollen angelegt wurde, ist der Neubau ein zweigeschossiger Baukörper mit z.T. dreigeschossigem Zentralraum. Die gesamte Bunkeranlage war vollständig hermetisierbar und bot Schutz vor betonbrechenden Bomben bis zu einem Kaliber von 250 kg, vor Detonationen taktischer Kernwaffen bis zu einem Druck von 5 kp/cm2 und vor chemischen Kampfstoffen, biologischen Kampfmitteln und radioaktiver Verseuchung. Bei maximaler Belegung war eine vollständige Hermetisierung, also ohne irgendwelche Luftzufuhr von außen, für etwa 20 Stunden möglich. Erst dann hätte die Kohlendioxydkonzentration in der Bunkerluft den kritischen Wert von 1,30% Vol. erreicht. Die Bunkeranlage war in verschiedene Bereiche mit speziellem Auftrag, Gefechtsabschnitte genannt, gegliedert.

Der Dienst erfolgte rund um die Uhr mit komplettem Wechsel der diensttuenden Besatzung nach24 Stunden. Die diensthabende Besatzung des ZGS-14 war mithin die oberste operative Führungsebene im Luftverteidigungssystem der DDR. Entscheidungsträger war ein Offizier im Rang eines Oberst oder Oberstleutnant, genannt "Der Diensthabende", der für das gesamte im System der Luftverteidigung eingesetzte Personal Befehlsgewalt hatte. Das betraf außer der diensthabenden Besatzung der ZGS-14 alle Besatzungen der unterstellten Gefechtsstände und Führungsorgane sowie die im "Diensthabenden System" eingesetzten Jagdfliegerkräfte, Hubschrauberkräfte, Flugabwehrraketen- und Funkmeßtruppen. An aktiven Kräften waren das in der Regel l0 Jagdflugzeuge, 6 Kamphubschrauber und 12 Flugabwehrraketenabteilungen, die in weniger als 10 Minuten nach Befehlsgebung kampfbereit waren.

Eine Diensthabende Besatzung des ZGS-14 umfaßte ca. 70 Frauen und Männer aller Dienstgradgruppen. Sie arbeiteten in den Gefechtsabschnitten unter Führung eines für seinen Bereich verantwortlichen Offiziers. So gab es das "Aufklärungs- und Informationszentrum (AIZ), beschäftigt mit der Erstellung und Beurteilung der Luftlage, die "Richtung", die Befehle des "Diensthabenden" an die Unterstellten übermittelte, Statusmeldungen entgegennahm und anschaulich darstellte, die "Flugkontrolle", oberstes militärisches Kontrollorgan bei der Durchführung militärischer und ziviler Flüge, den Bereich Nachrichten und Flugsicherung, verantwortlich für die Einsatzbereitschaft der entsprechenden Mittel und die zentrale Flugwetterwarte.

Weiter gehörten zur diensthabenden Besatzung das Personal der sogenannten technischen Gefechtsabschnitte wie die Rechenzentrale, der Bereich "Technische Anlagen", verantwortlich für das Funktionieren des Schutzbauwerkes und den Abschnitt "Almas-2", benannt nach der Codebezeichnung des sowjetischen automatisierten Führungs- und Meldesystems, für dessen Einsatzbereitschaft und Wartung spezialisiertes Personal verantwortlich war. Letztendlich gab es noch den Abschnitt des dem ZGS-14 unterstellten Nachrichtenbatallions, zuständig für alle Funk- und Fernmeldeverbindungen.

Für jeden Gefechtsabschnitt regelte eine spezielle Dienstanweisung den Aufgabenbereich sowie die funktionellen Rechte- und Pflichten. Grundsatzdokument dafür war der Befehl 90 des Chefs der LSK / LV über die Organisation und Durchführung des "Diensthabenden Systems" – DHS - der Luftverteidigung. In diesem Befehl wurde bis ins Detail festgelegt, welche Kräfte und Mittel im DHS eingesetzt werden, welche Bereitschaftsstufen es gibt und was sie beinhalten, die Übergangszeit (Normen) von einer Bereitschaftsstufe in eine höhere, die Rechte und Pflichten der Kommandeure und der "Diensthabenden" aller Stufen, Einsatzgrundsätze und taktische Verfahren sowie das Zusammenwirken mit der Luftverteidigung der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), mit der Volksrepublik Polen und der CSSR.

Dieser Befehl war ein Alptraum für die "Diensthabenden" aller Stufen, insbesondere jedoch für den "Diensthabenden" des ZGS-14, weil, was z.B. die Einsatzgrundsätze betrifft, die Realität viel komplizierter und vielschichtiger war, als es die Theorie vorsah.

Um sich das Dilemma vorzustellen, nur soviel: Im Befehl 90 war exakt festgelegt, wie die DHS-Kräfte zu eskalieren sind, wenn Kampfflugzeuge die Staatsgrenze der DDR anflogen, wobei die ersten Reaktionen ab 100 km Entfernung einzuleiten waren. Die letzte Reaktionsstufe war der Startbefehl für Jagdflugzeuge bzw. Hubschrauber und die Feuerbereitschaft von Flugabwehrraketen. Da es in einer Entfernung bis 100 km zur Grenze fast ständig Flugbewegungen gab, diese sehr oft in Richtung Grenze gingen und nur mittels Radarkontakt nicht eindeutig feststellbar war, ob es sich um ein Kampfflugzeuge bzw. Hubschrauber oder um ein ziviles Flugzeug handelte, war der Konflikt des "Diensthabenden" vorprogrammiert. Hielt er sich streng an den Befehl, was immer wieder gefordert wurde, wären die DHS-Kräfte fast ununterbrochen im Einsatz. Das war praktisch nicht durchzuhalten. Orientierte er sich jedoch an seiner Erfahrung und an seinem gesunden Menschenverstand, lebte er mit dem Risiko, gegen bestehende Befehle zu verstoßen. Die "Diensthabenden" handelten ohne Ausnahme nach der letztgenannten Variante. Alle Versuche, solche realitätsfernen Festlegungen aufzuheben, scheiterten an der Führung der LSK / LV. Hintergrund war der Souveränitätsanspruch der Staatsführung der DDR. Und eine Verletzung des Luftraumes war nach ihrem Verständnis ein Anschlag auf die Souveränität, auch wenn es sich nur um einen verirrten Sportflieger handelte. Das wurde auch in der Forderung "Kein Verletzer des Luftraumes darf ungestraft entkommen", mehr als deutlich.

Wie alles andere, war auch der Einsatz der Waffen gegen Flugzeuge, die den Luftraum verletzten, im Befehl 90 geregelt. Gezieltes Feuer war nur gegen eindeutig identifizierte Kampfflugzeuge vorgesehen und nur als äußerstes Mittel. Der Beschuß ziviler Flugzeuge war grundsätzlich verboten. Hier trifft zu, was oft im Zusammenhang mit regierungsamtlichen Protesten nach Luftraumverletzungen in der Presse zu lesen war, daß "nur Dank des besonnenen Verhaltens der für die Luftverteidigung zuständigen Kräfte schwerwiegendende Folgen vermieden werden konnten". Es ist tatsächlich kein einziger Fall bekannt, daß durch die Luftverteidigung der NVA gezieltes Feuer auf irrtümliche oder vorsätzliche Verletzer des Luftraumes eröffnet wurde.

Neben dem Luftverteidigungsauftrag gab es noch eine Vielzahl anderer Aufgaben, denen sich die diensthabende Besatzung des ZGS-14 stellen mußte. Dazu gehörten: die Kontrolle der Gefechtsausbildung, die Sicherung von "Regierungsflügen", die Einleitung von Hilfeleistungen bei Luftnotfällen und Havarien und, seit 1990, die Einsatzführung von Rettungshubschraubern für den zivilen medizinischen Dienst. Besonders die letztgenannte Aufgabe, der Einsatz von Militärhubschraubern bei dringenden medizinischen Notfällen und beim Transport von Ärzteteams zur Organentnahme wurde von allen Beteiligten mit viel Einsatz und Engagement geführt. Dabei wurden Einsätze organisiert und geflogen, die unter normalen Umständen undenkbar waren. Verantwortlich dafür war, neben dem Hubschrauberpiloten, der "Diensthabende" im ZGS-14. In diese Zeit fielen auch die ersten Flüge von NVA-Flugzeugen und Hubschraubern in die damalige Bundesrepublik. Anfangs noch Sensation, gehörte es bald zur Normalität, mit der Bundeswehr Kontakt aufzunehmen und gemeinsam Probleme zu lösen.

Die bewegte "Wendezeit", beginnend mit dem Sturz Honeckers bis hin zu den ersten freien Wahlen, prägte auch die Soldaten und ihre Angehörigen in Fürstenwalde. Heftige Diskussionen und Auseinandersetzungen auch unter den Offizieren waren an der Tagesordnung. Wertvorstellungen brachen zusammen, Verbitterung über eine unfähige und korrupte Staats- und Armeeführung breitete sich aus. Die ersten Reisen in die damalige BRD, die ersten Gespräche mit deren Bürgern wurde für viele NVA-Angehörige zum Schlüsselerlebnis. Die Umwälzungen in der DDR und die in der NVA eingeleitete Militärreform erzeugte auch unter den Soldaten eine Aufbruchstimmung. Natürlich gab es auch solche, die das alte Regime verteidigten und nicht bereit waren, die Veränderungen zu akzeptieren. Im ZGS-14 waren sie jedoch deutlich in der Minderheit.

Die ersten Ergebnisse der Militärreform und vieles darüber hinaus wurden durch den damaligen Kommandeur, Oberst Jedmin, tatkräftig umgesetzt. Um das Gerücht auszuräumen, hier lagerten Atomraketen, erhielt das Bürgerkommitee von Fürstenwalde eine Einladung zur Besichtigung des Gefechtsstandes. Weitere gravierende Veränderungen dieser Zeit waren die Auflösung der SED-Organsiation in der NVA, das Verschwinden der Abteilung 2000 (Einrichtring des Ministeriums für Staatssicherheit in der NVA), die Entlassung der Politoffiziere und die neue Vereidigung nach Bildung der Regierung unter de Maiziere. Die Anrede "Genosse" war schon lange dem "Herrn" gewichen.

Wie viele Bürger war auch die Mehrheit der NVA-Angehörigen entschlossen, Freiheit und Demokratie in der DDR zu verwirklichen. Dabei glaubten sie an eine längere Phase der Selbständigkeit beider deutscher Staaten und damit auch ihrer Armeen.

Die sich dann mit rasantem Tempo abzeichnende Wiedervereinigung und die damit verbundene Auflösung der NVA, löste große Unruhe unter den Soldaten aus. Keiner wußte, wie es weitergehen soll, Gerüchte machten die Runde. Daß trotzdem der Dienst diszipliniert durchgeführt wurde und es zu keinen schwerwiegenden Vorkommnissen kam, gehört zu den unbestrittenen Verdiensten der Angehörigen des ZGS-14. Motivation war, der Bundeswehr eine intakte militärische Einrichtung zu übergeben.

In der Nacht vom 02. zum 03. Oktober 1990 zog die diensthabende Besatzung unter Führung ihres "Diensthabenden" Oberstleutnant Gierlinger die NVA-Uniform aus und setzte den Dienst in ihrer neuen, der Bundeswehruniform, fort. Aus dem ZGS-14 wurde der Gefechtsstand Luftverteidigungssektor 5.

Der Autor Wolfgang Reimann war Oberst der NVA und viele Jahre in der Funktion des Diensthabenden im ZGS - 14 eingesetzt.

3. Die Bundeswehr in der Kasernenanlage Fürstenwalde

Am 02.10.1990 machte sich eine kleine Gruppe von Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr - unter ihnen Oberstleutnant Axel Lucas, der erste Dienststellenleiter der Luftwaffe in Fürstenwalde, und Oberstleutnant Michael Röhrbein - sein Stellvertreter – auf den Weg nach Fürstenwalde - ins Ungewisse. Mancher passierte mit Herzklopfen, so wurde später berichtet, die ehemalige innerdeutsche Grenze in einem endlosen Strom von Autos, deren Insassen die Vereinigung in Berlin, der alten und neuen Hauptstadt Deutschlands, erleben wollten.


Der Empfang in der früher schwer bewachten, mit Hochspannungszäunen gesicherten Kampfführungsanlage in Fürstenwalde war zunächst kühl, aber korrekt. Die Nervosität auf beiden Seiten legte sich jedoch schnell. Es wurde besprochen, was zu regeln war; stand doch bereits um Mitternacht eine einschneidende Veränderung in den Aufgaben des Zentralen Gefechtsstandes der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung der NVA an: Die Ausübung lufthoheitlicher Aufgaben in nationaler, nunmehr souveräner Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland.

Im Gefechtsstand war bis Mitternacht eine Kampfbesatzung der NVA sowie ein russischer Verbindungsoffizier im Einsatz. Mit Beginn des 03.10.90 übernahmen die wenigen Bundeswehroffiziere, mit Unterstützung durch das CRC Erndtebrück, zunächst nominell die Wahrnehmung lufthoheitlicher Rechte in den neuen Ländern. Nach und nach verschwanden die NVA-Soldaten, um kurz danach in Bundeswehruniform ihren Dienst fortzusetzen. Ein sicherlich einmaliger Vorgang in der Militärgeschichte!

In den ersten Dienststunden der Bundeswehr in Fürstenwalde verfolgte die Besatzung der Untertageanlage dann wie so viele Deutsche in Ost und West die bewegenden Bilder im Fernsehen aus Berlin von der Vereinigungsfeier. Auch ein Glas Champagner fehlte dabei nicht. Seit dieser Stunde stellte der Radarführungsdienst der Luftwaffe in den neuen Ländern die Überwachung des Luftraumes im Dauereinsatz sicher.

Dabei wurde naturgemäß zunächst auf vorhandene Strukturen der Funktechnischen Truppen der NVA zurückgegriffen. Ebenso wurde auch das veraltete russische Gerät und die vorhandene Datenverarbeitung des ehemaligen Zentralen Gefechtsstandes der NVA übernommen und weiterbetrieben. Aus dem Bestand der Funktechnischen Truppen der ehemaligen NVA wurden so z. B. 68 Radargeräte, die als mobile Stationen ausgelegt waren, übernommen. In den Einsatz gingen davon 23 P-37 Rundsuchgeräte und 22 PRW-13 Höhenmeßgeräte. Das Betreiben der russischen Radartechnik bis zum heutigen Tag stellte vor allem unsere Logistiker ein ums andere Mal vor Probleme. Es galt z.B., die Betriebssicherheit auf neuem Standard sicherzustellen, neue Wartungszyklen und Instandsetzungsverfahren einzuführen, technisches Personal auszubilden - ehemalige Spezialisten aus der NVA standen uns noch begrenzt zur Verfügung. Doch mit echtem Pioniergeist wurde auch hier manches Unmögliche möglich gemacht. Das zeitlich begrenzte Betreiben der technischen Ausbildungsinspektion Bad Düben erwies sich als richtig.

Die allererste Neuerung im Gefechtsstand war die Schaltung eines Berliner Posthauptanschlusses für die Bundeswehr und damit ein Einstieg in das Fernmeldesystem der alten Länder. Ansonsten behalf man sich eher schlecht als recht mit dem Vorhandenen. Allein der AutoFü Anschluß gewährleistete eine kontinuierliche Ost-West- und West-Ost-Verbindung.

Aus den Strukturen der NVA gingen in Fürstenwalde folgende Dienststellen hervor: die alle in der Luftwaffenkaserne in Fürstenwalde-Süd untergebracht waren. Alle anderen Luftwaffenanlagen der NVA in Fürstenwalde wurden aufgegeben. Unterstellte Funktechnische Kompanien – FuTK - und Abteilung – FuTA - befanden sich an 30 Standorten. Aus dieser Struktur galt es nun ein funktionsfähiges Radarführungskommando aufzustellen.

Während der Umstrukturierung mußte sichergestellt werden, daß der Luftraum über den "Fünf Neuen Ländern" - FNL oder auch Neufünfland - durch die Radarstellungen rund um die Uhr überwacht wurde, sowie Abfangjäger zur Erfüllung des Air-Policing-Auftrages aus den Gefechtsständen geführt werden konnten. Die Einsatzführung hatte der Gefechtsstand Luftverteidigungssektor 5 das sogenannte Nationale SOC.

Dazu wurden Radardaten, die im Dauereinsatz in den neuen Ländern von Kap Arkona auf Rügen bis zum Thüringer Wald, wie an der Grenze zur Polnischen Republik erfaßt wurden, an den Gefechtsstand übermittelt und dort zur Darstellung gebracht. Vom Gefechtsstand aus ergingen die Einsatzbefehle an die nationale Alarmrotte - NQRA[i] -, die zunächst durch Abfangjäger der Geschwader in Pferdsfeld und Hopsten, später auch durch das neu aufgestellte JG 73 in Preschen mit MIG-29 gestellt wurden.

Die Aufbauzeit der Luftwaffe im beigetretenen Teil Deutschlands war für alle Beteiligten ein absolutes Novum. Für die neuen Soldaten der Bundeswehr war die Luftwaffe zunächst so fremd wie die neue Uniform. Es galt und gilt das Prinzip der Delegierung von Verantwortung und Befugnis auf die Ebene, die dazu am ehesten befähigt ist. Das Ziel wird vorgegeben, nicht der Weg.

Was bedeutete dieser Wandel für den einzelnen Soldaten?

Es war in weiten Bereichen eine Stunde "Null". Auf die Ex-NVA-soldaten kam zunächst die Schulbank wieder zu. Eine endlos erscheinende Folge von Lehrgängen und Praktika war zu bewältigen. Man ging zum Praktikum Innere Führung, man holte den Feldwebel-Lehrgang nach, war zwischenzeitlich zum Truppenpraktikum, lernte als Vierzigjähriger plötzlich Englisch, wo es bisher doch Russisch getan hatte. Der größte Teil der Bundeswehr hat sich dieser Aufgabe mit guten Erfolgen klaglos gestellt.

Am schwersten litten aber die ehemaligen NVA-Soldaten unter der Unsicherheit der zwischenzeitlich fehlenden beruflichen Perspektive. War man es doch gewohnt gewesen, in einem Staat, der umfassend für jeden sorgte, zu einer ohnehin bevorzugten Schicht zu gehören, die darüber hinaus in der NVA eine klare Lebensperspektive hatte. Nunmehr war man für eine Probezeit von zwei Jahren Soldat auf Zeit und niemand konnte einem schon sagen, was danach käme, wie der neue Lebensweg, wo der neue Lebensraum zu sehen waren. Überall wurden Dienststellen aufgelöst, Soldaten zu neuen Einheiten kommandiert. Zu den Belastungen der neuen Ausbildung kamen die Belastungen des Getrenntlebens und die zweijährige Zitterpartie hinzu, ob man durch ein nicht in allen Filtern bekanntes Raster hindurchkäme. Wie schwer diese Belastungen wogen, wurde manch Vorgesetztem erst vollends klar bei dem strahlenden, befreienden Aufjubeln derer, die es später geschafft hatten, in die Bundeswehr längerfristig übernommen zu werden.

Für die Bundeswehrsoldaten, denen der Osten, aber nicht die Bundeswehr neu war, war die Aufbauzeit zwar in anderer Art und Wirkung, aber insgesamt nicht minder belastend. Zunächst gab es für viele Anmarschwege über Entfernungen und auf Verkehrswegen, die man so vorher nicht erlebt hatte. Auch die Unterbringung in den ehemaligen NVA-Kasernen war für manchen alten Bundeswehrsoldaten, gelinde gesagt, eine unangenehme Überraschung. Gerade in den kritischen Bereichen, wie Küchen- und Sanitärtrakten, waren die Spuren der Auflösungserscheinungen zwischen Wende und Vereinigung und des verlorengegangenen Stolzes einer einst beachteten Streitmacht unübersehbar.

Die Führung der neuen Bundeswehrsoldaten durch die alten Bundeswehrsoldaten geriet oft zu einem Drahtseilakt. Letztere standen in der ständigen Pflicht, das mitgebrachte Wissen zu vermitteln. Vielfach jedoch fehlte die Zeit für eine systematische Ausbildung am Arbeitsplatz der neuen Soldaten. Das führte dazu, daß man häufiger, als einem lieb war, in die Dinge eingreifen mußte, die den neuen Soldaten aufgetragen worden waren oder die sie sich selbst zutrauten. Der "Besserwessi" - Besserwissender aus dem Westen - war somit nicht zu umgehen und dies zu einer Zeit, da auf jeden "Westsoldaten" - Kurzforrn: Wessi - ca. l5 "Ostsoldaten" - Kurzform: Ossi - entfielen.

Der gesellige Umgang mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr bot ebenfalls Raum für Neuerungen. Oberstleutnant Axel Lucas, bis April 1991 erster Dienststellenleiter der Luftwaffe in Fürstenwalde, erlebte ein Mini-Waterloo bei seiner ersten "dienstlichen Veranstaltung geselliger Art".

In der Bundeswehr sind Beer-Call's gute, von den Angelsachsen übernommene, Tradition. Man trifft sich in ungezwungener Atmosphäre bei Bier und einem kleinen Imbiß, direkt nach Dienstschluß. Die Veranstaltungen dienen dem besseren gegenseitigen Kennenlernen und bieten Vorgesetzen wie Untergebenen Gelegenheit, ohne den dienstlich erhobenen Zeigefinger in lockerer Atmosphäre manches anzusprechen, was im Dienst ungesagt bleibt. So lud Oberstleutnant Lucas, nichts Böses ahnend, kurz nach seiner Ankunft in Fürstenwalde zu einem Beer-Call ein. Zu seiner Überraschung saß er mit den wenigen "Wessis" seines Kommandos dann alleine vor Bier und Brötchen. Aber die neuen Soldaten der Bundeswehr haben schnell die Vorzüge der Luftwaffen-Beer-Call's erkannt und letztere wurden rasch zu einem festen und gut besuchten Bestandteil des Zusammenlebens.

Auszug aus der ‚Chronik des Gefechtsstandes Luftverteidigungssektor 5’. Im Original: Textzusammenstellung: Major Corr, Layout und Druck: OFw Finkbeiner, Fotos: OFw Lenke, OFw Finkbeiner, Archiv